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Die Rückbau-Experten Jürgen Hanewald und Stephan Dolata diskutieren die Herausforderungen und Chancen des Rückbaus fossiler Kraftwerke im Kontext der Energiewende.

 

FrageDekarbonisierung ist doch eigentlich ganz einfach. Man stellt die Kohlekraftwerke ab und ersetzt den Energiebedarf mit Wind- und Solarstrom.

Stephan Dolata: Im Prinzip schon. Eine Herausforderung (… unter vielen) ist dabei allerdings, dass die stillgelegten Kohlekraftwerke dann immer noch in der Landschaft rumstehen. Das wäre in einem Land mit unbegrenzten Flächenreserven tatsächlich kein Problem. Wir leben aber in Deutschland. Hier wird um jeden Quadratmeter Flächennutzung und -versiegelung hart gerungen – aus gutem Grund! Und wir reden hier nicht über Gartenhütten. Bei einem Großkraftwerk eines überregionalen Energieversorgers können da schon mal über 1,5 Millionen Kubikmeter umbauter Raum auf mehr als 30 Hektar Fläche zusammenkommen.

Jürgen Hanewald: Oft wird auch unterschätzt, wie unterschiedlich die Herausforderungen sind. Die Spanne reicht vom Gigawatt-Block des öffentlichen Großversorgers auf der grünen Wiese, der hunderttausende Haushalte versorgt, bis zu unternehmenseigenen „Kleinkraftwerken“ im einstelligen Megawattbereich, die oft Teil komplexer und über viele Jahrzehnte organisch gewachsener Industrieanlagen sind. Da braucht es schon einen gut ausgestatteten Werkzeugkasten, um für jede Rückbau-Herausforderung die richtige Lösung zu finden.

FrageOk, aber so ein Rückbau kann ja keine Raketenwissenschaft sein. Letztendlich braucht man ein paar Abrissbirnen, vielleicht einen versierten Sprengmeister, einige Bagger, Lastwagen und eine Bauschuttdeponie, oder?

Jürgen Hanewald: Mit dieser Einstellung würde man den Rückbau eines „fossilen“ Kraftwerks mit ziemlicher Sicherheit so gegen die Wand fahren, dass man als öffentlicher oder privater Entscheidungsträger noch jahrelang unter den Folgen zu leiden hätte. An Rückbauprojekte werden heute hinsichtlich Nachhaltigkeit, Recycling, Kreislaufwirtschaft, Klimabilanz, Emissionen und Sicherheit die gleichen Anforderungen gestellt wie an Neubauten. Der professionelle Umgang mit Gebäudeschadstoffen, mit Boden- und Grundwasserkontaminationen, das alles muss ins Konzept integriert werden. Und die Terminvorgaben für die Baureifmachung und Neunutzung der Standorte sind in den letzten Jahren ganz sicher nicht großzügiger geworden.

Stephan Dolata: Ganz abgesehen von den ökologischen Risiken und der Nachhaltigkeitsbilanz spielt natürlich auch die wirtschaftliche Effizienz eine wichtige Rolle. Wir können heute für Auftraggeber handfeste Kostenvorteile generieren, wenn wir mit modernsten Techniken und digitalen Plattformen die Recyclingquoten maximieren und damit die Verwertungs- und Beseitigungskosten minimieren. Da fängt unser Job dann an richtig Spaß zu machen, wenn Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen.

FrageIst der Standardmodus bei solchen Projekten immer Komplettrückbau und Baureifmachung für die Konversion und Neunutzung?

Stephan Dolata: Bei Großkraftwerken für die öffentliche Energieversorgung läuft das in der Regel so. Aktuelles Beispiel: Das Kohlekraftwerk Ensdorf im Saarland, für dessen Rückbau bis Mitte 2025 wir als Generalunternehmer beauftragt sind. Ganz andere Herausforderungen stellen sich, wenn wir für Industrieunternehmen arbeiten. Wir haben mitten im Stammwerk eines deutschen Automobilherstellers den Rückbau eines Kohlekraftwerks geplant und überwacht – das bringt natürlich zusätzliche interessante Herausforderungen, wie die Business Continuity und Betriebsabläufe und -prozesse, die nicht gestört werden dürfen.

Jürgen Hanewald: … und über das spannende Thema Teilrückbau haben wir noch gar nicht gesprochen. In Mannheim und Ludwigshafen haben wir den Austausch von Verbrennungskesseln in den Müllheizkraftwerken bei laufendem Kraftwerkbetrieb vorbereitet. Das fühlt sich dann manchmal an wie eine Herztransplantation. Ingenieure, denen in unserem Team langweilig wird, haben wahrscheinlich ihren Beruf verfehlt!

FrageWie hat sich der Markt auf Auftraggeberseite in den letzten Jahren entwickelt? Haben sich die Ansprüche und Anforderungsprofile verändert?

Jürgen Hanewald: Die Nachfrage nach Komplettlösungen steigt – also nach Dienstleistern, die vom Genehmigungs- und Kommunikationsmanagement über technische Rückbaufragen bis zur Boden- und Grundwassersanierung alle Expertisen bieten können. Wir registrieren in diesem Kontext auch ein deutlich steigendes Interesse an Generalunternehmer-Modellen, die für Auftraggeber in Bezug auf Risikomanagement und Planungssicherheit sehr interessant sind.

Stephan Dolata: Schön ist auch die Erfahrung, dass heute Nachhaltigkeitsaspekte so etwas wie „Common Sense“ geworden sind, und nicht mehr kontrovers diskutiert werden. Rückbau ist Teil des Lebenszyklus von Vermögenswerten und gehört eben auch in die Lebenszyklus-Bilanz.

Jürgen Hanewald: … und nicht zu vergessen das Thema Sicherheits- und Gesundheitsschutz! Rückbauprojekte verzeihen keine Fehler in Bezug auf Health & Safety. Und es tut gut zu sehen, dass Auftraggeber dieses Thema mit dem gleichen Perfektionismus angehen wie wir.

FrageZurück zu den Kohlekraftwerken – ist diese „Rückbauwelle“ nicht eine sehr überschaubare Phase?

Stephan Dolata: Das sehe ich ganz anders! Sicher, der Rückbau von Kohlekraftwerken ist endlich, aber was ist mit den noch vorhandenen Gaskraftwerken? Auch der Rückbau von Kernkraftwerken wird uns noch die nächsten 20-30 Jahre beschäftigen. Kraftwerksrückbau und Konversion sind zwar nicht so im öffentlichen Fokus wie andere Themen der Energiewende, aber zu Unrecht finde ich. Der Veränderungsdruck betrifft nicht nur die Energieerzeugung, sondern alle Branchen und das in immer kürzeren Intervallen. Wir erleben immer wieder, dass Unternehmer und öffentliche Entscheidungsträger solche Herausforderungen vor sich herschieben, weil ihnen die Risiken von Rückbau, Sanierung und Konversion völlig unberechenbar erscheinen. Gerade da können wir mit gutem Gewissen Mut machen. Noch nie zuvor hatten wir so viele belastbare Erfahrungswerte im Rückbau komplexer Anlagen, noch nie hatten wir so leistungsfähige und intelligente Planungs- und Monitoring-Tools.

Jürgen Hanewald: Neben den Antworten auf all die technischen Frage verstehen wir es auch als unsere Aufgabe, das Mindset der Entscheidungsträger zu drehen. Da wo viele eine riesige und im Wortsinne unübersehbare Altlast mit Kamin, Kühlturm und vor allem unberechenbaren Risiken sehen, versuchen wir ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was an solchen Standorten möglich ist, wenn man Expertise mit etwas Mut und Entscheidungsfreude verbindet. Das Ende von etwas ist ja immer der Anfang von etwas!

Stephan Dolata

Stephan Dolata

Stephan Dolata, Leiter Geschäftsentwicklung Bauwerksanierung und Rückbau

Jürgen Hanewald

Jürgen Hanewald

Jürgen Hanewald, Projektmanager Rückbau