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Michael Hanita über einen Trendberuf mit Zukunft

Als ich vor wenigen Wochen zum ersten Mal die aktuelle VBI-Kampagne DIE AUSDENKER | Deutschlands beratende Ingenieurinnen und Architekten sah, war ich spontan begeistert. Selbstbewusst und voller Energie im Auftritt präsentiert sich hier endlich eine Branche, die im öffentlichen Aufritt bislang eher dezent, unauffällig und bescheiden daherkam. Und nun stellen wir „Ingfluencer“ klare und unmissverständliche Forderungen, die Hand und Fuß haben. Forderungen, die keine Luxusprobleme betreffen, sondern Transformationen, von deren erfolgreicher Gestaltung die Zukunft Deutschlands und Europas abhängen:

  • Energie- und Mobilitätswende
  • Dekarbonisierung
  • Urbanisierung
  • Resilienz und Digitalisierung

Unsere Branche scheint langsam zu lernen, dass Klappern zum Handwerk gehört, und das begeistert mich an dieser Kampagne! In anderen Berufen ist es selbstverständlich, die Produkte der erfolgreichen Arbeit stolz zu präsentieren und ihre Relevanz für Menschen und Gesellschaft herauszustellen. In der (speziell deutschen) Ingenieurbranche waren wir viel zu lange mit falscher Bescheidenheit unterwegs. Solange die Rahmenbedingungen einigermaßen stimmten, der Transformationsdruck moderat war und der Nachwuchs an engagierten jungen Talenten nicht versiegte, war das kein großes Problem. Das sieht aktuell alles anders aus.

Unsere gesamte technische und gebaute Umwelt hängt von der erfolgreichen Arbeit von Ingenieur*innen ab. Deren Existenz, Kompetenz, Motivation und Einsatzbereitschaft hat sich im öffentlichen Bewusstsein in der Vergangenheit zu einer Art Selbstverständlichkeit entwickelt. Wir waren als emsige Helferlein immer irgendwie und selbstverständlich da, wenn wir gebraucht wurden. Die Entwicklung der letzten Jahre hat klar gezeigt, dass diese Vorstellung auf ziemlich naive Art und Weise die Realität ignoriert. Ingenieurkompetenz ist heute Mangelware, hohe Nachfrage an Talenten trifft auf knappes Angebot.

MINT-Fächer stärker fördern

Die VBI-Kampagne setzt in diesem Kontext Maßstäbe, weil sie das Problem ganzheitlich betrachtet. Ein Beispiel: Eine Ingenieurkarriere fängt in der Schule an. Kinder und Jugendliche, die dort nicht für Mathematik, Physik und Chemie begeistert werden, sind später wahrscheinlich keine Kandidaten für Studiengänge in den Bereichen Bauwesen, Maschinenbau, Elektro-, Umwelt- oder Verfahrenstechnik.

Unsere Universitäten klagen seit Jahren über die immer schlechteren Voraussetzungen, die Abiturient*innen in den MINT-Fächern mitbringen. In internationalen Vergleichsstudien fällt es uns zunehmend schwerer, Anschluss an die Spitzengruppen zu halten. Der VBI fordert völlig zurecht einen konsequenten Fokus auf MINT-Fächer im Bildungsbereich.

Gestaltungsspielräume und Rahmenbedingungen anpassen

Die Motivation junger Menschen, sich als Ingenieur*innen den anstehenden Herausforderungen zu widmen, hängt auch von den zu erwarteten und antizipierten Rahmenbedingungen und Gestaltungsspielräumen nach Eintritt in das Berufsleben ab. Wenn Ingenieurkompetenz und -engagement von langjährigen und aufwändigen Genehmigungsverfahren eingebremst werden, dann wirkt das nicht motivierend. Wenn eine digital-affine und agile junge Generation im Job eingebremst wird von veränderungsträgen, „traditionellen“ Planungs- und Kommunikationsstrukturen und -prozessen, dann wird auch das die Berufsentscheidungen beeinflussen. Wir müssen einfach alle Hebel in Bewegung setzen, damit Expertise und Kompetenz schneller in reale Lösungen – und die damit verbundenen Erfolgserlebnisse – umgesetzt werden.

Honorar-Dumping abschaffen

Auch beim Thema Honorar-Dumping formuliert die Kampagne klar: Auftraggeber, die Ingenieurleistungen wie Discounter-Produkte behandeln, werden auch Discounter-Produkte bekommen. Das mag bei einem Turnschuh für 40 Euro kein großes Problem sein. Bei maßgeschneiderten Lösungen, die mitunter Milliarden-Investitionen erfordern und über Jahrzehnte die Lebensqualität der Menschen verbessern sollen, sieht das ganz anders aus.

Die Honorarfrage hängt auch mit unserer veränderten Positionierung in den Wertschöpfungsketten zusammen: Wir sind heute oft nicht mehr nur Dienstleister für ausschreibungsbasierte Teilleistungen in der Planung großer Vorhaben. Oft sind wir als Berater*innen schon in der strategischen und konzeptionellen Phase eingebunden und verbinden bei komplexen Vorhaben immer auch die technische und planerische Dimension mit unserer Rolle als Projektmanager*innen.

Tue Gutes und rede drüber

Mein Fazit: Ich denke, wir Ingenieure brauchen ein komplett neues Selbstverständnis. Wir müssen uns mehr als Ingfluencer begreifen und so auch öffentlich aufstellen und präsentieren. Wir sind nicht die Handlanger der aktuell so dringend notwendigen Transformationen, sondern stehen als Gestalter*innen und Treiber in ihrem Mittelpunkt. Und wenn in unserer Branche der Schuh drückt, dann sollten wir nicht unter vier Augen in der Mittagspause darüber jammern, sondern öffentlich und selbstbewusst mit konstruktiver Kritik Position beziehen.

Kurzum: „Tue Gutes und rede drüber“! Gutes getan haben wir immer schon, aber wir haben in der Vergangenheit zu wenig drüber geredet. Das müssen wir ändern.…

Michael Hanita